Überfluss
Ein Problem, das unsere Kultur heute mehr als jemals zuvor betrifft.
Wir müssen uns nicht, wie frühere Generationen, darüber Sorgen machen, was am nächsten Tag auf dem Tisch steht oder wie wir die kaputten Schuhe flicken sollen.
Heute ist für den Großteil unserer Gesellschaft für das Notwendigste gesorgt.
Eigentlich hätten wir genügend Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Aber nur eigentlich. Denn und wir haben andere Probleme: Die Wohnung ist zu klein, das Auto zu alt und der PC zu langsam.
Diese Dinge sind ungenügend und machen uns unglücklich. Aber keine Sorge, hier kommt das Gegenmittel!
Es gibt zwar einige, die scheinbar mit dem zufrieden sind, was sie haben. Diese Einstellung resultiert jedoch meist nicht aus dem Erkennen des eigentlichen Übels.
Sie entsteht oft aus Bequemlichkeit oder ähnlichem. Daher wollen wir nun einmal die Grenzen zwischen „zu viel“ und „zu wenig“ ausloten.
Die Gratwanderung der Genügsamkeit
„Einem jeden dient sein Leib als Maßstab für den Besitz, wie der Fuß für den Schuh.“
(Epiktet: Handbüchlein der stoischen Moral
Mit diesem knappen Satz gibt uns Epiktet einen Maßstab an die Hand, mit dem wir jederzeit alles im Leben bemessen können.
Was zum Leben notwendig ist, soll uns an Besitz genügen.
So wie man auch Schuhe nur so groß kauft, dass sie an die Füße passen.
Man wählt sie nicht zu klein, denn sonst drücken und schmerzen sie beim Gehen. Wobei ich ausdrücklich darauf hinweisen möchte, dass man in der Not auch ein paar Meter in zu kleinen Schuhen zurücklegen kann. Es sollte nur kein Dauerzustand sein.
Genauso sollten die Schuhe aber auch nicht dauerhaft zu groß gewählt werden, denn wer auf größerem Fuße lebt, als es ihm die Natur vorgibt, der wird früher oder später über seine eigenen Füße fallen und hernieder gerissen werden.
Nicht zu klein und nicht zu groß, das ist das rechte Maß. So sollten wir mit all unserem weltlichen Besitz Maß halten.
Wie bei einem Hochseilakt, müssen wir Schritt für Schritt die schmale Linie verfolgen, die genug für uns ist. Zur einen Seite droht der Absturz in den Mangel, zur anderen der in den Überfluss.
Die Belohnung für dieses Kunststück ist der Akt selbst. Wie auch der Hochseilartist während seines Ganges auf dem Seil eine Aussicht genießt, die allen anderen verborgen bleibt, so werden auch wir, wenn wir dieses Kunststück vollbringen, eine Freude kennenlernen, die uns vorher verwehrt war. Die Zufriedenheit.
Dieser Hochseilakt ist eine Herausforderung, die uns das ganze Leben lang begleitet.
Natürlich weiß jeder, dass zum Leben keine prachtvolle Villa notwendig ist. Eine gemütliche kleine Wohnung, sollte jedem von uns zum Leben genügen und selbst in einer kleinen Hütte oder einem Zelt könnten wir Leben, wie uns einige Kulturen und Mitmenschen beweisen.
Dennoch strebt der Großteil unserer Gesellschaft nach mehr Besitz. Die Ursachen dieses Strebens und seine Folgen, sollen in anderen Beiträgen geklärt werden. Wir wollen uns mit dem Umstand an sich beschäftigen, um seine Schädlichkeit aufzudecken.
Als Erkenntnis aus dem oben gesagten, können wir folgendes festhalten:
Diesen Umstand werden wir ohne Probleme erkennen können, wenn er eintritt. Somit ist der Gedanke zu wenig zu haben vollkommen unbegründet, solange für das Leben gesorgt ist.
Wenn genug zu wenig ist
„Was einmal über das Maß hinaus ist, hat keine Grenze mehr.“
(Epiktet: Handbüchlein der stoischen Moral)
Das Streben nach immer mehr Besitz führt uns in eine endlose Spirale der Habsucht.
Wir alle kennen das:
- Wir begehren etwas, z.B. ein neues Auto, das wir in der Werbung gesehen haben.
- Wir arbeiten darauf hin, uns auch so ein tolles Auto leisten zu können.
- Irgendwann haben wir das nötige Geld endlich zusammen und gönnen uns das ersehnte neue Auto.
- Wir sind für einen Augenblick lang glücklich und genießen das erreichte Ziel.
- Leider hält dieser Zustand nicht lange an. Schon bald stellen wir fest, dass das neue Auto genauso wie das alte, schmutzig wird, gewartet und getankt werden muss.
Das ist der Gewöhnungseffekt, der bei allen Dingen im Leben früher oder später eintritt (Du kannst ihn aber auch zum Positiven nutzen und sogar dazu, wahres Glück zu finden).
Wir sitzen in einem besseren Auto mit den gleichen Problemen und werden wieder unzufrieden.
Aber bald sehen wir unseren Nachbarn mit einem Ferrari in die Einfahrt fahren und denken uns „Wenn ich so ein Auto endlich fahre, werde ich keine Probleme mehr haben“.
Schon ist das nächste Ziel gesteckt.
Natürlich bilden wir uns das nur ein. Auch der Ferrari-Fahrer ist nicht am Ende der Spirale angekommen, weil er immer einen anderen sehen wird, der mehr hat als er und scheinbar ein besseres Leben führt.
Unter allen Menschen in dieser Spirale kann es schlussendlich nur einen einzigen geben, der zufrieden scheint. Das wäre der reichste.
So lange man diesen Status also nicht erlangt, wird man unglücklich und unzufrieden sein und stets mehr haben wollen. Ein griechischer Philosoph fasst dies in einer treffenden Aussage zusammen:
„Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.“
(Epikur von Samos)
Fazit
Wir haben heute überwiegend mehr als genug und streben darüber hinaus nach immer mehr.
Dies stürzt uns in einen endlosen Kreislauf der Habsucht und lässt uns zwangsläufig unglücklich werden.
Wenn wir dies erkennen, können wir uns bewusst machen, was für uns genug ist und uns bemühen diesem schmalen Grat zu folgen, indem wir unsere Begierde loslassen.
Als Belohnung werden wir, bereits auf dem Weg, die selbst geschaffene Zufriedenheit erfahren.
Foto: Flickr, “Michael Pollak ”, CC BY 2.0
„Wir sitzen in einem besseren Auto mit den gleichen Problemen“ – *lach* Genial. Und so wahr. Wieder mal ein klasse Beitrag, spricht mir voll und ganz aus dem Herzen! Danke dafür :-).
Hey Britta,
wie schön dich hier in den Kommentaren begrüßen zu dürfen. Herzlich Willkommen! =)
Danke für dein Lob! Ich freue mich sehr, dass dir der Beitrag gefällt.
Ja leider ist es mit vielem so. Wir versprechen uns das große Glück und wenn wir es haben, stellen wir enttäuscht fest, dass wir immer noch die selben sind.
Darf ich fragen, ob du kürzlich so eine Erfahrung gemacht hast?
Liebe Grüße
Norman
Da fällt mir noch was ein. Irgendjemand sagte mal was in der Richtung: „Ein Mensch ist umso reicher, desto grösser der Wert dessen ist, auf was er verzichten kann.“
„Die Dinge die Du besitzt, werden letztendlich Dich besitzen.“(Fightclub)
Viele Grüsse,
Mike
Hey Mike,
danke für deinen Kommentar und herzlich Willkommen hier!
Vielen Dank für die beiden sehr passenden Kommentare =)
Die gefallen mir beide ausgesprochen gut. Vor allem, weil ich Fightclub liebe und gerade Lust kriege ihn wieder anzusehen :-D
Aber auch das erste ist klasse. Bedeutet es denn auch:
„Ein mensch ist umso größer, je weniger er hervorzustechen versucht“ ? Was meinst du?
Hast übrigens eine tolle Seite! Schön, dass ich sie auf diese Weise gefunden habe. Da werd ich mich bestimmt noch das ein oder andere mal umsehen!
Liebe grüße
Norman
Genügsamkeit ist ein Thema, mit dem ich mich momentan wieder sehr intensiv auseinandersetze. ich lebe grundsätzlich minimalistisch und durchlebe immer mal wieder Phasen, in denen ich mich diesem Konzept mal mehr mal weniger verbunden fühle. Und doch fühlt es sich soviel selbstverständlicher an, die Dinge einfach loszulassen, als noch mehr haben zu wollen.
LG – Anja
Hey Anja,
kann ich gut nachvollziehen, mir geht es ab und an auch so. Aber ich glaube, genauso muss es auch sein, damit man sich immer wieder bewusst dazu entscheiden kann.
Wir sind ja kein Computer, der ein einmal aufgespieltes Programm für alle Ewigkeit ausführt =)
Liebe Grüße
Norman
Mich interessierte der Artikel, weil mir vorgetragen wird ich wäre in Beziehung zu genügsam. Bedeutet das im umkehrschluss man muss als Frau zickig sein um geliebt zu werden? Nun gilt hier Genügsamkeit als Tugend und ich werde schwer Umdenken müssen um fordernder, streitsamer und bestimmter zu sein. Ob man damit erfolgreicher in neuen Beziehungen? Wer weiss…
Hey Anna,
danke für deinen interessanten Kommentar! =)
Freut mich, dass du die Genügsamkeit hier auch mal mit dem Thema Beziehung in Verbindung bringst.
Ich denke es ist in Beziehungen ganz ähnlich wie auch sonst überall:
Wo Erwartungen herrschen, dort ist immer auch die Möglichkeit der Enttäuschung und damit viel Platz für Leid, Frust, Ärger und Unglück gegeben.
Zufrieden und genügsam zu sein ist eine ganz hohe Kunst und wer sie beherrscht, hat sein Glück jederzeit selbst in der Hand.
Ich sehe das Problem eher bei denen, die dir vorwerfen zu genügsam zu sein!
Sie haben nämlich genau dieses Problem, dass du ihre Erwartungen nicht erfüllst und leiden deshalb. Ihr einfacher Ausweg besteht dann darin, dir dafür die Schuld zu geben, so müssen sie ihre Welt nicht in Frage stellen oder gar ändern.
Ich kann dir also auf jeden Fall nicht dazu raten, anderen zu liebe diese seltene Fähigkeit in Frage zu stellen oder aufzugeben, wenn es dir doch damit gut geht.
Liebe Grüße
Norman